Peter Radacher ist über 90 Jahre alt, doch wenn er vom Hochkönig, vom Arthurhaus und seiner Heimatregion erzählt, ist ihm das Alter kaum mehr anzumerken. Wir durften an seinem Tisch platznehmen und seinen Erzählungen lauschen – von der Entstehung des Schigebiets am Hochkeil, bei dem er und seine Familie entscheidend mitwirkten. Von Schreckmomenten in der Nacht, von Glücksgefühlen auf der Piste. Und von wunderbaren Geschichten, die nur das Leben schreibt.
Als wir den schönen Weg zum Arthurhaus hinauffahren, ist es ruhig. Das Berghotel am Fuße der prächtigen Mandelwände liegt an der Südostflanke des Hochkönig-Massivs und gehört zum Gemeindegebiet von Mühlbach. Durch unsere geöffneten Fenster dringen lediglich die Geräusche der Natur: das Zwitschern der Vögel, das Rauschen der Wälder. Doch ganz so ruhig ist es hier nicht immer, erzählt uns Peter Radacher. Der 88-Jährige ist der Dritte seines Namens und ein echtes Mühlbacher Urgestein. Zwischen 1960 und 1995 war er Wirt im Berggasthof Arthurhaus und prägte das Haus wesentlich. Parallel dazu leitete er die Skischule Arthurhaus, die sein Vater 1923 gegründet hatte – es war die erste Skischule im gesamten Bundesland Salzburg. Aber der Reihe nach.
Die Großmutter vom Arthurhaus
„Wir sind hier am Mitterberg, das ist der Sattel zwischen Mühlbach und Bischofshofen“, beginnt Peter Radacher. „Wir leben in einem uralten Bergbaugebiet. Schon rund 3.000 v. Chr. haben Bergleute am Hochkeil Kupfererz abgebaut.“ Irgendwann ist der Bergbau schließlich eingeschlafen – und wurde erst Anfang des 19. Jahrhunderts wieder aus seinem Dornröschenschlaf erweckt. „1827 hat ein Mühlbacher Bauer durch Zufall am Weg nach Mühlbach eine Erzader im Wasser gefunden“, nimmt Peter den Faden wieder auf. „Wenige Jahre später hat der neuzeitliche Bergbau begonnen.“ Mit ihm kam auch ein Aufschwung für die Gegend. So wurde 1866 ein Gasthaus für die Bergleute errichtet – das war der erste Teil des heutigen Arthurhauses. Und Ende des 19. Jahrhunderts, da beginnt auch die Geschichte von Peter Radachers Großeltern und dem Arthurhaus. „1896 hat meine Großmutter das Gasthaus am Mitterberg übernommen“, sagt Peter Radacher. „Scheinbar war ihr das aber noch nicht genug, denn 1898 hat sie zusätzlich das neu erbaute Kaiser-Franz-Josef -Schutzhaus übernommen – das ist das heutige Matrashaus.“ Der ursprüngliche Name des Schutzhauses hat eine historische Bewandtnis: Es wurde zum 50-jährigen Regierungsjubiläum des Kaisers gebaut. „Das Schutzhaus für den Kaiser musste man natürlich ganz oben auf den Gipfel stellen, über alle anderen Berghäuser“, sagt Peter und fügt schmunzelnd hinzu: „Sonst wäre das bestimmt Majestätsbeleidigung gewesen.“ 22 Jahre lang bewirtschaftete die Großmutter das Schutzhaus am Hochkönig, das später nach demjenigen benannt wurde, der die Zerstörung des Hauses verhinderte: Franz Eduard Matras. So kam das Matrashaus zu seinem heutigen Namen.
Die ersten Gäste kamen aus der Doppelmonarchie
„Bis etwa 1920 hat meine Großmutter dort oben gearbeitet. Dann hat sie bei beiden Häusern aufgehört und meine Eltern haben das Wirtshaus am Mitterberg übernommen“, erzählt Peter weiter. Zusätzlich zu dieser Aufgabe setzten sie mit der Eröffnung der ersten Schischule in ganz Salzburg einen echten Meilenstein in der Schigeschichte des Landes. Ab dieser Zeit führte das Wirtshaus auch den Namen Arthurhaus, benannt nach dem Hauptaktionär des Bergbaues, dem Industriellen Arthur Krupp aus Niederösterreich. „Meine Eltern Peter und Mizzi Radacher haben die Schischule Mitterberg 1923 am Arthurhaus gegründet. Mein Vater war selbst begeisterter und sehr guter Rennläufer. Damals gab es ja nur die Dreierkombination Springen, Abfahrtslauf und Langlauf. Ein Cousin meines Vaters war damals schon in Amerika und hat den Leuten dort das Schifahren beigebracht. Hinter dem Arthurhaus, am Mitterbergsattel, hat er mit Unterstützung des Skiklubs Mühlbach und der Bergbauleitung bereits 1920 die berühmte „Rudolfschanze“ gebaut. Ja, und dann ging es dahin – dann kamen die Gäste.“ Die ersten Gäste kamen hauptsächlich aus Deutschland, aus der damaligen Tschechoslowakei und aus Ungarn. Berühmt ist das Arthurhaus auch dank Josef „Bubi“ Bradl. Die österreichische Schisprunglegende sprang 1936 als erster Mensch auf Schiern über 100 Meter weit. „Ja, der Bubi und mein Vater, die haben sich schon gut gekannt“, sagt Peter Radacher in der ihm eigenen, zurückhaltenden Weise.
Auch während des Krieges kamen Gäste
Und selbst, als der Krieg über das schöne Gebiet hereinbrach, kamen immer noch Gäste zum Schifahren auf den Mitterberg. „Ja, wir waren auch während des Kriegs gut besucht“, erinnert sich Peter. „Anfang Mai 1945 habe ich dann ein Auto herauffahren hören. Das waren die Amerikaner.“ Peter bricht ab, schaut aus dem Fenster. Schließlich greift er den Faden wieder auf. „Ende der 1940er Jahre hatten wir kaum Gäste, da war jeder mit dem Wiederaufbau beschäftigt. „Ich selbst war zu dieser Zeit landwirtschaftlicher Lehrling. Mein Vater war übrigens der höchste Bauer im Land Salzburg – wir leben auf 1.500 Meter. Im Sommer haben wir rund 200 Tiere auf der Alm gehabt.“ Aber das Schifahren, das war trotzdem seine große Leidenschaft. Bis zum Jahr 1955 war Peter Radacher selbst aktiver Schirennläufer. In dieser Zeit war er acht Mal Salzburger Meister, war 1952 sogar in Oslo bei den Olympischen Spielen. „In Oslo bei den Olympischen Spielen dabei sein zu dürfen, das war schon großartig“, sagt Peter und lächelt. „Die Menschen waren so begeistert, die haben uns so richtig angefeuert. Das war ganz toll.“
Die „Radacherspitze“ zu Ehren des Radachers
Zuhause war Peter als staatlich geprüfter Schilehrer den ganzen Winter über auf der Piste. Bis heute wird der Mitterberg auch für seine Schneesicherheit geschätzt, sagt Peter. „Hier brauchen wir wahrscheinlich nie Schneekanonen. Und auch die Tatsache, dass wir Schlepplifte haben und alles ein bisschen gemütlicher zugeht, das mögen viele Leute.“ Erst letzten Winter sei ihm das wieder aufgefallen, sagt Peter. „Da ist ein Herr zu mir gekommen, der hat wirklich gesagt: Ach schön, hier können wir endlich wieder Schlepplift fahren.“ Peter lacht. Ja, der Nostalgie-Charme, der ist am Arthurhaus definitiv zu spüren. Apropos Nostalgie: Was sagt er dazu, dass 2007 der 2.400 Meter hohe Stangenkopf der Mandelwände, mitten im Hochkönigmassiv, ihm zu Ehren zur „Radacherspitze“ wurde, werfen wir ein. „Ja, das wisst ihr auch?“ fragt Peter Radacher und lacht. „Naja, so ist das halt“, sagt er bescheiden und schaut auf seine Hände. Doch wir glauben, ein kurzes Aufblitzen von Stolz und Freude in seinen Augen gesehen zu haben. Peter Radacher ist sehr bescheiden. Er erzählt viel und gern von seinen Vorfahren, die hier in der Gegend so viel er- und geschaffen haben. Von seinen Großeltern, seinen Eltern und auch seinen Kindern. Aber die Geschichten über ihn selbst, die müssen wir etwas aus ihm hervorlocken. Dabei ließe sich mit der Lebensgeschichte von Peter Radacher bestimmt ein ganzes Buch füllen – und es würde den Leser garantiert nicht langweilen.
„Bei der Lawine, da hatten wir einfach Glück“
Wir reisen weiter in unserer virtuellen Zeitmaschine. Anfang der 1950er Jahre ging es langsam wieder bergauf mit dem Wintertourismus. „1952 wurde der erste Schlepplift bei uns am Mitterberg gebaut, 1960 dann der zweite, hinauf auf den Hochkeil“, erinnert sich Peter. „Zwischen 1972 und 1982 haben wir den Hochkeil dann komplett erschlossen, mit einem längeren Lift.“ In den 1960 Jahren wurde auch das Arthurhaus weiter ausgebaut – schließlich kamen viele Gäste gerne hierher. „Und 1966, gerade als ich den ersten Zubau fertiggemacht habe, ist dann die Lawine gekommen“, sagt Peter. Er fährt langsam mit seinen Händen über die Oberfläche des schönen Holztisches, an dem wir sitzen. Dann richtet er seinen Blick wieder auf uns und erzählt. „Das war der 20. März 1967, um 23 Uhr. Es war eine Staublawine, die war gewaltig. Sie hat den Großteil des Altbaus vom Arthurhaus weggerissen. Wir haben einfach großes Glück gehabt, dass wir die Gäste rechtzeitig rausbekommen haben. Der erste Stock war komplett voll mit Schnee. Eines der Küchenmädchen hat es einfach beim Fenster rausgedrückt – so eine Wucht hatte das.“ Peter Radacher schüttelt den Kopf. „So ein Glück, das alles gut ausgegangen ist. Ich hab dort, wo ich das Kopfende des Bettes wusste, mit einer Schaufel gegraben und die Gäste rausgezogen. Unser Glück war auch, dass wir drei Ärzte im Haus gehabt haben und drei verschiedene Stromkreise. So hatten wir nur Verletzte, keine Toten.“
„Noch mehr Peter Radacher, damit sich keiner auskennt“
Seine Ehefrau Sieglinde starb 1989, und viele Jahre später lernte er Erika kennen. Bei unserem Besuch verwöhnt uns Erika, die vor Energie und Lebensfreude nur so strahlt, herzerwärmend mit Kaffee und duftendem Guglhupf.
1990 ist Peter Radacher schließlich in den wohlverdienten Ruhestand getreten. Seine Töchter führen das Arthurhaus und das Hochkeilhaus weiter. „Mittlerweile haben die das auch schon übergeben“, sagt Peter. „An die Kinder. Die heißen auch Peter Radacher. Damit sich keiner auskennt.“ Wir lachen, und auch die Mundwinkel von Peter Radacher zucken belustigt. Und auch ein bisschen stolz. Denn trotz aller Bescheidenheit – die uns ehrlich beeindruckt hat – kann Peter Radacher auf ein Leben zurückblicken, auf das man wirklich stolz sein darf.