„Ich bin sehr eng mit der Region verbunden“, sagt Georg Imlauer. „Wenn ich als Bub mit dem Natrunlift den Berg hinaufgefahren bin, hab ich schon Heimweh bekommen.“ Georg lacht. Seit mittlerweile 17 Jahren ist er Vorgeher der berühmten Almer Wallfahrt und führt jährlich bis zu 2.000 Pilger über das Steinerne Meer. Nebenbei ist er für die Brauchtumsveranstaltungen des Bauernherbstes verantwortlich und züchtet Noriker. Langweilig wird Georg also nicht. Wir durften trotzdem mit ihm über sein Leben und die Region sprechen.
Er ist sehr bodenständig – also im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Boden verbunden, erzählt uns Georg. Wir haben an einem Tisch vor seinem Haus in Maria Alm Platz genommen; hinter uns steht der schöne, alte Bauernhof, den Georgs Großvater gekauft hat. „Ich war ein Bergbauernbub,“ sagt Georg. „Wir haben immer mit den Händen gearbeitet, früher hatten wir keinen Traktor. Und erst als ich 17 Jahre alt war, haben wir Strom bekommen. Bis dahin gab es nur Petroleumlampen.“ Georg hält kurz inne, schaut an uns vorbei zu dem Bauernhof in unserem Rücken. Dort ist er aufgewachsen. „Wenn wir früher beim Petroleumlicht Aufgabe gemacht haben, hat der Vater oft gesagt: Schad´ ums Petroleum. Tut´s lieber keine Aufgabe machen.“ Georg lächelt. „So war das halt. Meiner Mutter war die Schule wichtig, dem Vater war wichtig, dass wir gearbeitet haben. Wir Bauernbuben waren ja sommerbefreit, das heißt, wir durften ab 1. Mai von der Schule zuhause bleiben.“ Sein Bruder war Melker, er selbst Hirte, sagt Georg. Und in den Winterferien wurde holzgearbeitet. „Mein Vater hat Holz aus dem Wald hinuntergezogen ins Tal, und wir haben es mit den Rössern weitergezogen. Davon waren unsere Ferien geprägt. Aber es war eine schöne Zeit.“ Bis heute hat Georg eine besondere Verbindung zu Pferden – er züchtet Noriker.
„Den Schnee spür´ich in den Knien“
Neben der Norikerzucht hat er eine weitere Aufgabe, die ihm besonders viel Freude bereitet: Er ist seit 17 Jahren Vorgeher der berühmten Almer Wallfahrt. Den Wallfahrtsweg über das Steinerne Meer nach St. Bartholomä kann er wahrscheinlich schon fast im Schlaf gehen. Zumindest aber bei so gut wie jeder Witterung. „Als Vorgeher muss man sich im Steinernen Meer gut auskennen – auch bei Nebel, Regen oder Schnee“, sagt Georg Imlauer. „Man muss die Markierungen am Boden kennen. Der Vorgeher trägt auch kein Kreuz, sondern nur einen Stock mit Blumen drauf. Damit die Leute wissen, wo sie gehen müssen.“
Das eine oder andere Mal hat die Wallfahrer schon der Schnee erwischt, oben am Berg. Aber meistens spürt Georg das vorher. „Ich hab zur Wallfahrt immer kurze Lederhosen an“, sagt er. „Da spür ich dann immer den Schnee. Einmal, da sind wir schon eine Zeitlang unterwegs gewesen, als ich es in den Knien gespürt hab. Die Schafe dort oben haben sich auch anders verhalten. Und über Nacht war dann der Schnee da.“
Die Geschichte von der Pest und der Glocke am Dürrnberg
Wann genau die Pinzgauer Wallfahrt das erste Mal stattgefunden hat, ist nicht belegt. Jedoch wird angenommen, dass die Pest, die innerhalb von 300 Jahren 14 Mal im Pinzgau ihr Unwesen getrieben hat, eine große Rolle dabei spielte und die Wallfahrt eine Art Pestgelübte war. Besonders die Region um Saalfelden hat es damals hart getroffen – ganze Ortschaften starben aus. „Um 1630 muss es wieder besonders schlimm gewesen sein mit der Pest“, erzählt Georg und streicht über die Tischdecke. „Man erzählt sich, dass damals die Menschen in ihrem Wahn eine Glocke gehört haben. Sie haben geglaubt, dass das die Glocke von der Kirche am Dürrnberg ist.“ Georg hält kurz inne. „Damals haben in Saalfelden keine zwanzig Menschen mehr gelebt, sagt man.“ So soll es gekommen sein, dass die Pest in Saalfelden geendet hat. „Aber im August 1688 ist dann ein schlimmes Unglück geschehen“, sagt Georg. „Da sind 70 Pilger auf dem Königssee ertrunken, als sie den See mit einem Floß überqueren wollten. Danach sind die Wallfahrer dann nur noch nach St. Bartholomä gegangen. “ In Gedenken an das Schiffsunglück am Königssee wird jedes Jahr an der Falkensteinwand ein Kranz niedergelegt
Nach dem Krieg wurde um die Wallfahrt verhandelt
Während des Zweiten Weltkriegs kam die Wallfahrt fast zum Erliegen. „Da durfte dann keiner mehr hinübergehen“, sagt Georg. Als der Krieg vorbei war, wurde auch der Wunsch nach der Wallfahrt über das Steinerne Meer wieder lauter. „1951 war das, da ist schließlich mein Großvater hinübergegangen bis an die Grenze“, erzählt Georg. „Dort hat er sich das mit den Bayern ausgemacht, sodass wir wieder rübergehen dürfen. Seither wird die Wallfahrt von Maria Alm aus jedes Jahr gemacht.“ Die Almer Wallfahrt gilt als älteste Hochgebirgs-Wallfahrt. In aller Herrgottsfrüh, wenn es noch dunkel ist, macht sich die Gruppe mit teilweise bis zu 2.000 Menschen von Maria Alm auf zum Riemannhaus im Steinernen Meer auf 2.177 Meter. Dort wird zunächst die Messe gefeiert, dann geht es weiter durch die mehr als 30 Kehren der Saugasse zum Königssee. Seit 2002 führt Georg als Vorgänger die Wallfahrt an. Zudem ist er für den Gesamtablauf des beliebten Bauernherbstes in Maria Alm zuständig – für den Bereich Brauchtum. „Ich mach das sehr gerne“, sagt Georg und lächelt. „Schon meine Mutter hat das gern gemacht, sie war Dichterin.“ 43 Jahre lang war Georg auch aktiver Musikant – mit Leidenschaft. „Das hab ich leider vor vier Jahren aufhören müssen, weil die Augen nicht mehr mitmachen“, sagt Georg.
„Wir haben hier schon ein schönes Platzerl“
Langeweile kennt er aber nicht – ganz im Gegenteil. Im Winter spannt er zum Beispiel seine Noriker vor den Schlitten und fährt Gäste aus Nah und Fern über die Felder seiner Heimat. „Ich fahre mit dem alten Schlitten, auf dem wir früher das Holz transportiert haben“, sagt Georg. „Den hab ich nur leicht modifiziert, ich bin ja gelernter Tischler. Die Fohlen nehmen wir bei unseren Fahrten meist mit. Dann werden sie das von klein auf gewöhnt, also das Scheppern der Kutsche und die Leute.“ Wenn er mit den Gästen durch den Schnee fährt, nimmt er die Schönheit seiner Heimat besonders intensiv war, sagt Georg. Vor allem, wenn ihn die Gäste darauf aufmerksam machen. „Ich fahr immer über eine Anhöhe, von der aus man auf Maria Alm hinabschauen kann“, sagt Georg. „Da hat mal ein Gast zu mir gesagt, dass das schon sehr schön ist. Und da hab ich mir dann auch wieder einmal gedacht: Ja, wir haben schon ein besonders schönes Platzerl hier.“
Eine Region mit zwei Gesichtern
Unser Besuch neigt sich dem Ende zu. Eine letzte Frage möchten wir Georg noch stellen: Was für ihn das Besondere an der Region ist, in der er lebt. „Dass sie zwei Gesichter hat“, sagt Georg. „Auf der einen Seite – wenn ich im Dorf stehe – ist alles touristisch schon sehr gut erschlossen. Und die andere Seite ist reine Natur. Jeder kann selbst entscheiden, was er möchte. Wenn ich Ruhe haben möchte, gehe ich dort drüben den Berg hinauf und kann stundenlang marschieren – da kommt mir kein Mensch entgegen. Will ich aber Leute treffen und Action haben, dann gehe ich zum Beispiel den Hundstein hinauf und treffe viele Wanderer. Wir haben beides. Das ist schön.“