Nah am Himmel

Mein Tag auf der Melchamalm

„Hier oben ist es ganz anders als unten“, sagt Flora Rainer und streichelt Ina, die samtäugige Magyar Vizsla-Hündin, die es sich unter dem Holztisch vor der Almütte bequem gemacht hat. „Hier geben die Kühe den Rhythmus vor und strahlen eine angenehme Ruhe aus. Sobald ich hier auf der Hütte bin, fällt der hektische Alltag von mir ab.“ Hier auf der Hütte, das ist 1.250 Meter über dem Meer, hoch oben im wunderschönen Hochkönig-Gebiet.

Die Melchamalm, auf der Flora bei unserem Besuch die Arbeit der Sennerin verrichtet, ist seit Generationen in Familienbesitz. Bereits die Urgroßeltern von Christian Rainer, Floras Vater, haben hier oben viele Wochen im Jahr verbracht. Sie haben die Hütte ausgebaut und liebevoll restauriert – und dabei immer deren ursprünglichen Charme bewahrt. Bereits in der 4. Generation nutzt die Familie Rainer, die im Herzen von Maria Alm den Melchamhof bewirtschaften, die Hütte heute, und hegt und pflegt sie wie die Generationen zuvor.

Fast wie im Märchen
Als wir die Almhütte zum ersten Mal betreten, sind wir entzückt: Wie einem Märchenbuch entsprungen wirkt sie mit ihrem alten Holzboden, den vielen alten, gepflegten Gerätschaften und den liebevollen, kleinen Details. Bunte Blumen wachsen in und vor der Hütte, eine Quelle gluckert fröhlich vor sich hin und es gibt auch eine gemütliche Hausbank, von der aus man einen Blick auf die prachtvolle Bergwelt hat, der schöner nicht sein könnte. Als Christian Rainer unsere Bewunderung bemerkt, lacht er. Ja, ein bisschen schaue sie schon aus wie aus dem Märchenbuch, seine Alm. Aber es ist auch sehr viel Arbeit, die dahintersteckt – romantisieren dürfe man das Leben hier auf keinen Fall.

Mit der Sonne aufstehen, mit den Sternen schlafen gehen
Dass es auf der Alm immer etwas zu tun gibt, davon können wir uns bei unserem Besuch gleich persönlich überzeugen. Der Arbeitstag von Flora beginnt dann, wenn der Morgen dämmert. „Ich höre in der Früh immer die Glocke der Leitkuh läuten“, erzählt sie. „Dann weiß ich: Jetzt ist´s Zeit. Das ist für gewöhnlich so kurz vor 6 Uhr früh.“ Der erste Weg führt sie hinaus auf die Alm, wo sie mit Hilfe des eifrigen Hütehunds die Kühe zusammentreibt. Immer wieder mal greift ihr dabei ihr Vater unter die Arme, an den Wochenenden hilft auch Lebensgefährte Markus tatkräftig mit. Sind die schönen Pinzgauer Rinder dann gemächlich im Stall eingetrudelt, beginnt die morgendliche Melkarbeit.



Bio aus tiefster Überzeugung
Zwischen fünf und 15 Liter pro Melkung geben die Kühe von der Melchamalm. „Hier lauft alles so natürlich wie möglich ab“, sagt Christian Rainer. „Unsere Kühe fressen die Kräuter und Gräser hier oben auf der Alm, das ist alles Bio, alles unverfälscht. Und das schmeckt man einfach, in der Milch und natürlich auch im Käse.“ Aus 200 Litern Milch werden rund 15 Kilogramm Käse. Wenn die Milch nicht weiterverarbeitet wird, liefern die Rainers an eine Bio-Molkerei. Auch die Gastronomen aus dem Ort bestellen regelmäßig die Bio-Milch von der Melchamalm. Qualität überzeugt eben. Christian selbst war 20 Jahre lang in der Biokontrolle tätig. Apropos natürlich: Uns fällt auf, dass alle Kühe noch ihre Hörner haben. Ein Anblick, der selten geworden ist. „Das ist ein Thema, das ist uns sehr wichtig“, erklärt uns Christian. „Alle unsere Kühe dürfen ihre Hörner behalten, das ist zum einen für den sozialen Status in der Herde wichtig, also für die Rangordnung. Aber das Horn hat darüber hinaus auch noch die wichtige Funktion, die Körpertemperatur der Kuh zu regeln.“ Wir merken: Natürlichkeit ist hier keine Floskel. Sie wird in allen Bereichen gelebt.

Käsen mit Fingerspitzengefühl
Gleich nach dem Melken wir die Milch auf vier bis fünf Grad gekühlt und Flora beginnt mit dem Käsemachen. „Die meiste Arbeit beim Käsen ist eigentlich das Waschen im Vorfeld“, lacht Flora. „Die Hygiene ist ja ganz wichtig, das nehmen wir sehr genau. Und die Herausforderung auf der Alm ist, dass hier nicht immer heißes Wasser verfügbar ist. Deshalb verteilen wir die Arbeit auf den ganzen Tag.“ Meistens warte sie etwa vier Melkzeiten ab und plane dann eben einen ganzen Tag für das Käsen ein, erklärt uns Flora. „Danach wird der Käse dann 6 Wochen lang geschmiert.“ Was das genau heißt, erfahren wir im Steinkeller. Durch eine Holztür im Boden im hinteren Teil der Hütte gelangen wir in den angenehm-kühlen Steinkeller, in dem die Schätze aus Bio-Kuhmilch lagern. Die runden Käselaibe, die hier auf hölzernen Regalen ruhen und vor sich hinreifen, zeigen Farben von schneeweiß bis goldgelb. Das hängt mit dem Reifegrad zusammen, erklärt uns Flora, die gleich beginnt den Käse zu schmieren. Jeden Tag steigt sie in den Keller hinunter und pinselt die Käselaibe mit Salzwasser ein. Wie sie professionell-beherzt und doch mit der nötigen Umsicht den Pinsel schwingt („Man schmiert nur oben und an den Seiten, damit das Brett nicht schimmelt!“), merken wir, dass Flora trotz ihres jungen Alters ein echter Profi ist. Und ihr die Arbeit mit den runden Laiben wirklich Freude macht. „Wir stellen Weichkäse, Schnittkäse und Frischkäse her“, erzählt Flora. „Manchen Käse verfeinern wir dann noch, zum Beispiel mit Kräutern, Pfeffer oder Bockshornklee. Unser Käse reift im Schnitt zwischen sechs und acht Wochen. Das kommt aber selbstverständlich immer auf die Sorte an – ein Bergkäse, wie ich ihn letzten Sommer auf einer Alm in der Schweiz hergestellt habe, reift mindestens sechs Monate.“

Ein bewussteres Leben
Beim Käsemachen ergeben sich immer wieder kurze Wartezeiten – beispielsweise beim Bruch „waschen“, also nachdem Wasser dem Bruch-Molkegemisch zugesetzt wurde. „Der Bruch muss dann etwa eine halbe Stunde ruhen“, sagt Flora. Während dieser Pausen sitzt Flora auf der Bank vor der Hütte, manchmal – speziell an den Wochenenden – kommen sie und Markus auch Freunde aus dem Ort oder von anderen Almen besuchen. „An einem Tag, an dem ich nicht gerade Käse mache, gönne ich mir zwischen der Arbeit mit den Kühen und dem Saubermachen des Stalls auch mal ein kleines Schläfchen“, lacht Flora. „Auf dem Zirbenbett neben dem alten Ofen – da schläft man einfach richtig gut.“ Generell gibt es aber immer was zu tun auf der Alm, sagt Flora. „Hier kann man sich schon richtig ausleben. Jetzt sind zum Beispiel die Moosbeeren reif, da gehe ich gerne eine Runde und pflücke ein paar. Später gibt es dann Arnika, die kann man wunderbar zu einer Salbe verarbeiten.“ Überhaupt lebe sie hier hoch über Maria Alm bewusster, naturverbundener, sagt Flora.

Aber genug geplaudert, jetzt ist wieder der Käse dran. Flora umrundet die vor sich hindösenden Hunde vor der Hütte und geht in das Gebäude neben den Stall, in dem der Käse auf die Weiterverarbeitung wartet. Jetzt kommt der Bruch in die Form, was einiges an Können und Kunstfertigkeit verlangt. In einem bestimmten Rhythmus werden die Laibe nun über die nächsten Stunden immer wieder gedreht, insgesamt über einen Zeitraum von sechs Stunden. Einer der letzten Schritte – am Abend – ist dann das Salzbad, um den Geschmack des Käses zu verfeinern. Dort ruht er dann bis zur Mittagszeit des nächsten Tages.



Wildwürste und Bio-Käse von der Alm
Bevor sich auch die Sennerin zur Ruhe begeben kann, wollen noch die Kühe versorgt werden. Im Anschluss daran spült Flora das Melkzeug sorgfältig durch, kehrt den Stall zusammen und atmet einmal tief durch. „So, und jetzt gibt´s eine gute Brotzeit“, lächelt sie. Wobei „gut“ untertrieben ist, wie wir finden. Die Brotzeit war fantastisch. Mit Wurst vom Wild, dass die Jägerfamilie (Vater Christian, Mutter Michaela sowie Sohn Jakob sind passionierte Jäger) selbst erlegt hat, und von den eigenen Rindern und selbstgemachter Käse – die Produkte verkauft Familie Rainer im eigenen Hofladen und im Rahmen des „Almer Bauernkorb“. Als krönenden Abschluss serviert uns Markus, der Lebensgefährte von Flora, noch einen Kaiserschmarrn mit Kompott – ein locker-flockiger Traum von Nachspeise, nach dessen Genuss wir selig lächeln. Noch ein Schnapserl (selbstgebrannt, versteht sich) mit Christian zum Abschluss und dann ins Bett – schließlich wollen wir morgen mit der Sonne aufstehen

Edle Rösser auf Sommerfrische
Obwohl sich die Sonne am nächsten Morgen erst in Wolken hüllt, ist der Ausblick hinunter auf das Tal atemberaubend. Christian Rainer greift seiner Tochter bei der Früharbeit unter die Arme und zeigt uns danach noch seine persönlichen vierbeinigen Schätze, nicht weit von der Almhütte entfernt. Als der Weg eine Biegung beschreibt, hören wir sie auch schon: lautes Getrappel und freudiges Geschnaube kündigen die Pferde des Melchambauern an, die den Sommer auf der Alm verbringen. Die wunderschönen Warmblüter, für deren Zucht Christian Rainer weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt ist, prägen auf der Alm ihre Muskeln optimal aus, werden trittsicher und noch robuster. Auch Mutterstuten mit Fohlen sind hier oben – der Nachwuchs ist schlichtweg entzückend. Das Fell der edlen Tiere glänzt in der Sonne, als sie sich gegenseitig beiseite schubsen, um den besten Platz vor dem Futtereimer von Christian Rainer zu ergattern. Die Pferdezucht, die Vater Hans Rainer vor über 40 Jahren mit einer Hannoveraner-Stute begonnen hat, liegt Christian sehr am Herzen. Und es ist ihm wichtig, dass die Tiere den Sommer über auf der Alm sein können. „Die Tiere bewegen sich hier auf einer Almfläche von rund 25 Hektar“, erzählt Christian. „Natürlich ist es da essenziell, dass sie gefahrlos umherwandern können – von ein paar Kratzern einmal abgesehen. Genau aus diesem Grund stehen wir der Wiederansiedelung von Wolf und Luchs sehr skeptisch gegenüber. Wenn ein Wolf einem Pferd, einer Kuh oder einem Schaf zu nahekommt, gerät das in Panik und flieht. Die ganze Herde flieht. In ihrer Panik sehen die dann auch keinen Zaun oder andere Gefahrenquellen mehr. Das ist fatal für die Tiere und der entstehende Schaden ist auch durch Geld nicht ersetzbar“, so Christian.

Ein Leben nah am Himmel
Zurück bei der Almhütte genießen wir noch einmal das Panorama – das prachtvolle Steinerne Meer, die saftig-grünen Wiesen um uns herum und Maria Alm, das pittoresk ausgebreitet zwischen hohen Berggipfeln unter uns liegt. Wir verabschieden uns von Christian, Flora und Markus, die uns herzlich auf der Melchamalm empfangen haben. Und wir gehen mit der Gewissheit, dass das Leben auf der Alm sicherlich kein leichtes ist. Und nein, wir wollen es auch nicht romantisieren. Aber schön, das ist es allemal. Das Leben nah am Himmel.