Bevor man sie sieht, kann man sie hören: Lautes Glockengeläute begleitet die Kühe, die im September von den Bauern ins Tal getrieben werden. Die Sommerfrische auf der Alm ist vorbei, nun lockt der warme Stall, in dem die Tiere den Winter verbringen werden. Der Almabtrieb markiert den traditionellen Schlusspunkt des Almsommers. Wir wollen den Almsommer in der Hochkönig-Region noch einmal Revue passieren lassen. Ein Sommer der regionalen Besonderheiten, harten Arbeit, wertvollen Momente der Muße und der herzlichen Menschen.
„Die Tiere wissen genau, wenn es nach Hause geht. Meistens warten sie dann schon auf uns, wenn wir hinaufkommen auf die Alm“, schmunzelt Christian Rainer. Die Tiere des Melchambauern aus Maria Alm verbringen jeden Sommer auf der Melchamalm, 1.250 Meter über dem Meer. Dieses Jahr waren neben den Milchkühen auch noch zwei Schweine auf der Alm, außerdem ein paar Hühner und Hütehund Rigo. Wir durften bei unseren Besuchen die Sennerin bei ihrem Almalltag begleiten, ihr beim Melken und Käsen über die Schulter schauen, sie über hügelige Almwiesen und durch schattige Wälder begleiten und die Kühe am Abend zurück in den Stall treiben. Wir haben ein erst wenige Stunden altes Kälbchen auf der Weide besucht, in der Nacht auf das Donnern des Gewitters gelauscht und auf die Regentropfen, die am Morgen auf das Hüttendach prasselte. Wir durften handgemachten Käse, frische Milch und herrliche Wildwürsterl probieren. Und so einiges über das echte Leben auf der Alm lernen.
Gaumenfreude und Augenschmaus: Kräuteralmen am Hochkönig
Echtes Almleben haben wir auch auf den anderen Hütten erlebt, die wir in diesem Sommer besuchen durften – beispielsweise auf der schönen Königsbergalm. Das junge Hüttenpaar Wolfgang Hotter und Daniela Pfisterer betreibt die schöne Hütte und Kräuteralm in Dienten mit Leidenschaft und Hingabe. Vor dem traumhaften Panorama der Dientner Berge servieren sie ihren Gästen traditionelle Schmankerl, die nicht nur gut schmecken sondern obendrein auch noch sehr schön anzuschauen sind. Die Königsbergalm ist eine von 13 Kräuteralmen am Hochkönig. So werden Almjause, selbstgemachte Kräutersäfte und mehr mit bunten Blüten und frischen Blättern verziert – eine Freude für Augen und Gaumen. Unser Tipp: sich nach einer feinen Almjause in einen der Liegestühle legen, den Blick schweifen lassen – und einfach nur genießen.
Mit Kind(ern) und Kegel auf die Alm
Gefreut haben wir uns auch schon auf den Besuch bei Hans und Traudi Aigner von der Molterauhütte. Die wunderschöne Hütte auf der Widdersbergalm ist an sich schon einen Besuch wert – sie liegt direkt am Salzburger Almenweg, das Panorama ist atemberaubend. Traudi und Hans sind herzliche Gastgeber und verkörpern das authentische Leben auf der Alm. Mit Sack und Pack ziehen sie im Frühsommer hinauf auf die Alm – inklusive Kinder, Katzen und Hund Joki. Den ganzen Sommer verbringen sie dann oben und schlafen in der Hütte. Traudi stellt Topfen, Käse, Butter, Sauermilch und Brot selbst her. Alles, was zugekauft werden muss, prüfen die beiden genau auf ihre Herkunft. Ein Bio-Betrieb zu sein bedeutet schließlich auch Verantwortung zu übernehmen, sagt Traudi. Wenn sich der Sommer dem Ende zuneigt und sich die Blätter zu verfärben beginnen, packen die Aigners langsam zusammen und treiben die Tiere hinunter ins Tal, zum Bauernhof Molterau Gut in Mühlbach. Dort geht die Arbeit am Hof dann weiter, bis im nächsten Jahr Anfang Juni wieder der Berg ruft.
Almliebe kennt kein Alter
Der Berg – genauer gesagt der Hochkönig – spielt auch im Leben von Rudi Nussbaumer eine große Rolle. Gemeinsam mit Frau Tine und Mutter Gretl bewirtschaftet er von Mitte Mai bis Ende September die Dientalm am Dientner Sattel. Seit 1928 ist die Dientalm in Familienbesitz, die Gastwirtschaft hat hier eine lange Tradition. Und auch gekäst wurde auf der Dientalm schon immer – bis heute. Rund drei Mal pro Woche wird auf der Alm Käse und Butter von der Milch der 20 Kühe hergestellt. Meist übernimmt das Käse Mutter Gretl, die mit ihren knapp 70 Jahren immer noch mit Leidenschaft und Sachverstand bei der Sache ist. Sie ist ihrem Sohn Rudi zufolge das Herz der schönen Dientalm. Wenn sie nicht gerade käst, kümmert sie sich mit Hingabe um das Wohl der Gäste oder um ihre „Damen“ – die Kühe, die auf der großen Weide vor der Hütte vor sich hindösen. Überhaupt wird dem Wohl der Tiere hier große Bedeutung zugemessen – er achtet auch sehr darauf, dass seine Tiere einen guten Charakter haben, erzählt uns Rudi. Im Herbst kommen die Tiere dann ins Tal, in den Bauernhof in Mühlbach. Und auch Rudi und Gretl ziehen sich ins Tal zurück, die Arbeit am Hof rückt wieder in den Mittelpunkt. Doch gerade im Herbst, sagt Rudi, schaut er besonders gern hinauf auf den „König“ – wenn ihn die Herbstsonne anstrahlt und er tiefrot leuchtet in seiner ganzen Pracht.
Genuss ist König und Vielfalt ist Trumpf
22 bewirtschaftete Almhütten gibt es im Gebiet rund um Maria Alm, sieben in Dienten und 22 in Mühlbach am Hochkönig. Jede Hütte für sich ist einzigartig, sei es aufgrund der Lage, wegen des Essens-Angebotes oder weil die Hüttenleute die Hütte zu etwas Besonderem machen. Bei dieser großen Auswahl findet im Hochkönig-Gebiet jeder das, was er gerade braucht: ob moderne Hütten mit erstklassiger Kulinarik, Kräuteralmen, zünftige Almhütten mit Musik oder ruhiges, entspanntes Almleben abseits vielbegangener Routen, zum Seele-baumeln-lassen. Diese große Auswahl macht auch bei der Kulinarik nicht halt. Denn wer denkt, Almhütten wären nur etwas für Liebhaber von Pinzgauer Kasnocken, Speckbroten und Co., wird in der Region Hochkönig eines Besseren belehrt. Einige Hütten bieten neben klassischen Hüttenschmankerln auch vitale Köstlichkeiten an, die ganz ohne Fleisch und tierische Produkte auskommen. In Maria Alm ist das beispielsweise die schöne Steinbockalm, die gekonnt modernes mit traditionellem vermischt – sowohl, was das Ambiente betrifft, als auch in der Küche. Ob Veggie Burger oder Salat mit Falafel – hier werden Freunde fleischloser Genüsse glücklich. Auch die Jufenalm, die Wastlalm, die Zachhofalm in Dienten oder die Mühlbacher Hütten Karbachalm, Pronebenalm, Tiergartenalm und Zapferlalm überzeugen mit ihrem veganen und vegetarischen Angebot. Vielfalt ist also Trumpf im Hochkönig-Gebiet. Und wer das einmal erlebt hat, der kennt es ganz genau: das “ich komm wieder“-Gefühl.
Hochgefühle am Hochkönig
Dieses Gefühl beschleicht auch uns am Tag des Almabtriebs. Wir dürfen Christian Rainer von der Melchamalm und seine Familie am Wochenende des Abtriebs begleiten. Schon am Vortag trifft sich die ganze Familie inklusive Freunde, um die „Furkeln“ anzufertigen – den schönen Blumenschmuck, den die Kühe beim Abtrieb tragen werden. Frische Kräuter, grüne Zweige, bunte Blüten und rote Beeren – alles wird von Hand aneinandergebunden, dort und da zurechtgezupft, bis es traumhaft schöne Kombinationen ergibt. Die Stimmung unter den Helfern ist fröhlich und ausgelassen – ein Sommer ohne Unfälle liegt hinter ihnen. Denn aufgekranzt werden die Tiere nur, wenn während des Sommers alles gut gegangen ist, keine Verluste zu beklagen sind. Der Tag des Almabtriebs beginnt erst wie jeder andere mit melken und den Stall saubermachen. Dann poliert Christian noch einmal die schönen Glocken, die die Tiere um den Hals tragen werden. Auch die kunstvoll gefertigten Masken erhalten noch einmal eine gründliche Reinigung, bevor sie den Kühen angelegt werden. Zuletzt kommen die „Furkeln“ an die Reihe – die Zierbüsche, die die Rinder zwischen den Hörnern tragen werden. So beginnt der feierliche Abtrieb – die Tiere schön geschmückt, die Menschen in festlicher Tracht. Etwa zwei Stunden dauert es, bis die Tiere der Melchamalm unten in Maria Alm ankommen. Dort ist der Bauernherbst schon in vollem Gange. Zünftige Musik tönt aus allen Ecken und Enden des Ortes und der Duft von frischen Bauernkrapfen und allerlei gegrillten Köstlichkeiten zieht durch die Straßen, die Bäuerinnen verkaufen Käse und Speck. Alle warten gespannt auf die ersten Anzeichen, dass die Tiere kommen – das Gebimmel der Glocken, die Rufe der Begleitpersonen. Und schließlich sind sie dann da, trotten schön aufgekranzt durch die Straßen in Richtung Stall. Glückliche Gesichter sieht man auf beiden Seiten – auf denen der Bauern und auf denen der Besucher. Ein Sommer auf der Alm geht zu Ende. Ein Sommer mit viel Arbeit, aber ohne Verluste. Mit Gästen, die das echte Almleben schätzen und erleben möchte.
Wenn das nicht ein schöner Grund zum Feiern ist.