Die Sage von der Weißen und Blauen Frau vom Zachhof

Hoch über Dienten, dort, wo die Wände des Hochkönigs schon zum Greifen nah erscheinen, liegt der Zachhof. Vor vielen hundert Jahren lebte hier der Ritter Wolfgang von Zach mit seinen zwei Töchtern. Die beiden Schwestern – eine von ihnen war blind – standen sich nicht sonderlich nahe. Als ihr Vater verstarb, hinterließ er ihnen viele wertvolle Goldstücke. Sein letzter Wille war, dass die Schwestern den Schatz unter sich aufteilen sollten. Also stellte die sehende Schwester zwei Gefäße auf den Tisch. Es waren sogenannte Kornmetzen, die man zum Messen des Getreides verwendete. In diese Metzen ließ sie abwechselnd die Goldmünzen fallen – erst in das eine, dann in das andere Gefäß.
Pling! Pling! Pling! Pling! Die blinde Schwester hörte begierig auf den Klang der Goldmünzen. Von Zeit zu Zeit tastete sie in ihrem Gefäß nach der Höhe des Goldhaufens. Jedes Mal, wenn sich ihre vom Arbeiten am Feld rauen Finger nach den Goldmünzen reckten, lächelte die andere Schwester ein boshaftes Lächeln. Ihr hinterhältiger Plan schien zu funktioneren! Sie hatte den Kornmetzen der Schwester nämlich verkehrt herum aufgestellt, sodass das Gold bald den niederen Rand des Bodens füllte. Die blinde Schwester merkte lange nichts von dem Betrug. Doch als sie zum wiederholten Mal nach den Goldmünzen tastete und ihre Finger auf den niederen Rand stießen, kochte eine heiße Wut in ihr hoch. Ihre eigene Schwester hatte sie verraten! Mit einem lauten Schrei auf den Lippen warf sich die blinde auf die sehende Schwester. Ein wildes Ringen und Rangeln begann, bis sich die beiden Schwestern so unglücklich die Köpfe stießen, dass sie bewusstlos zu Boden sanken. Und schließlich auf dem alten Holzboden des Hofs verstarben.

Seit dieser Zeit ist es auf dem Zachhof nicht mehr geheuer. Es spukt, sagen die Dientner. Die beiden Schwestern gehen dort als Geister um und bewachen ihre Schätze. Nur wer reinen Herzens und ohne Sünde ist, der kann der Weißen und der Blauen Frau einmal im Jahre begegnen. Zur Christnacht muss man dort sein, und auf jeden Fall allein. Wenn die Kirchenuhr Mitternacht schlägt, dann öffnet sich die Tür zum Keller des Zachhofs. Ohne ein Geräusch zu verursachen steigt die Blaue Frau gebückt vom Keller Stufe um Stufe hinauf ins Unterdach. Ihre weiße Schwester kommt ihr mit wehenden Gewändern von oben entgegen und wandert tief hinunter in den Keller. Während die Schwestern durch das Haus schleichen zeigen sie dem, der die beiden dabei beobachtet, jene Stelle im Haus, an der ihre Schätze versteckt sind. Die Schätze, für die die beiden gestorben waren.
Bis heute ist es noch keinem Menschen gelungen, alle Bedingungen zu erfüllen. Entweder war der Glücksritter unreinen Herzens, oder er hatte die richtige Zeit versäumt. So müssen die Weiße und die Blaue Frau noch immer unerlöst auf dem Zachhof umgehen und als Geister durch das Haus wandern. Ihre Schätze, die warten dort oben auf denjenigen, der sie zu holen traut.